Hallen-Weltmeisterschaft 2001

Karin's Lissabon-Tagebuch

Der Weg zur Bronzemedaille und zurück

Freitag, 9. März:

Ab 4 Uhr konnte ich bereits nicht mehr schlafen, was aber ganz normal ist. Um 6 Uhr bin ich aufgestanden. Vor dem Frühstück brachte ich bereits den Kreislauf in Schwung.

Um 7.30 Uhr ging es in die Halle und 45 Minuten danach begann ich mit dem Warmmachen im Gegensatz zu Sabine, die immer erst später anfängt. Ich habe mich bereits da gut gefühlt, bin schon unter Strom gestanden und war richtig ehrgeizig. Nach ein paar Tests und Starts in der Halle habe ich mir gesagt: heute laufe ich Bestzeit auf den 60 Meter Hürden. Das war aber dann der allererste Start bei den Meisterschaften überhaupt und ich konnte den Starter überhaupt nicht einschätzen. Dementsprechend bin ich dann leider "sitzengeblieben". Ich wusste erst gar nicht, was los ist, dachte das ist ein Fehlstart. Als alle gerannt sind, bin ich einfach hinterher. Ich habe zwar noch einiges aufgeholt, aber mit einem ordentlichen Start hätte ich mindestens zwei Zehntel schneller sein können. Das hat mir danach auch mein Trainer bestätigt und ich habe mich geärgert, war erstmal sauer. Dann habe ich mich aber an Sydney erinnert, als auch viel passiert ist und auch viele nicht so toll waren. Ich fühlte mich nach dem Hürdenlauf noch total gut, was mir das Gefühl gab, dass es noch gut weitergehen kann.

Beim Hochsprung war ich sehr erleichtert, dass ich bei den niedrigeren Höhen nicht schon zittern musste und die 1,83 Meter im dritten Versuch schaffte. Bei 1,86 Meter habe ich leider meine alte Fußverletzung wieder gespürt. Es war längst nicht so schlimm wie in Sydney, aber wieder eine Reizung der Kapsel, so dass ich mich auch beim dritten Sprung nicht mehr richtig traute.

Danach waren drei Stunden Pause, in der wir den Fuß behandelt haben und beim anschließenden Einlaufen hatte ich schon nichts mehr davon gespürt. Die Konzentration galt jetzt dem Kugelstoßen. Ich stand nervös und zittrig mit schweißgebadeten Händen im Ring und habe nur zu mir gesagt: 'Ich muss den Oberkörper hinten lassen, fast aus dem Ring fliegen und ihn da halten'. Sonst habe ich gar nichts gedacht. Mein Kugelstoßtrainer hat gesagt, ich soll einen Schrei los lassen. Das kann ich aber nur, wenn ich die Kugel treffe, denn sonst brauche ich nicht zu schreien. Im ersten Versuch habe ich das super hingekriegt und die ganze Spannung rausschreien können. Beim Abstoß merkte ich schon, dass das gut wird. Das war echt ein Super-Traumgefühl und die Kugel ist mit 14,79 Metern sehr schön weit geflogen. Danach bin ich im Ring fast höher als beim Hochsprung gesprungen. Nadine Kleinert-Schmitt hat mich auch sehr gelobt für den Stoss. Sie sagte, wenn ich "die linke Seite noch weiter zuhalte", kann ich noch weiter stoßen. Die 15 Meter sind nun mein nächstes Ziel.

Vor dem Weitsprung war mir noch nicht klar, dass es eine Medaille werden könnte. Ich wusste, dass einige gut springen können. Bei mir ging es mit 6,09 Metern los und es war meiner Ansicht nach sehr schwierig zu springen, weil der Balken komplett weiß war. Man konnte gar nicht unterscheiden, wo Brett und wo Gummi ist. Den ersten Versuch hatte ich nicht so richtig schön ausgelaufen. Die Weite war okay und so konnte ich danach etwas riskieren. Der zweite war 6,31 Meter und im dritten legte ich noch 6,34 drauf. Ich denke, es hatten mehrere mit der Anlage Probleme. Liga Klavina ist rund 6,50 Meter gesprungen und danach in der Grube zurückmarschiert. Keiner wusste, warum. 

Vor den 800 Metern war klar, dass die Russinnen noch laufen können und es war nicht meine Absicht, deren Tempo mitzugehen. Ich war erschrocken, dass Sabine Braun so schnell anging. Wir hatten die 800 aber nicht so intensiv trainiert und ich war bereits nach eineinhalb Runden platt. Deshalb bin ich nur noch hinter Sabine gelaufen, was für mich ein schönes Zugpferd war. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es im Gesamtklassement noch so eng wird und Roshchupkina zwischen uns und so nah an mich rankommt. Im Ziel war ich als Dritte erst mal glücklich. 

Wenn man es analysiert, hätte ich auf den Hürden einiges gut machen können und im Hochsprung wäre auch noch eine Höhe möglich gewesen. Die anderen Disziplinen waren ziemlich ausgeschöpft. Aber im Mehrkampf kann es so und so laufen. Die ersten zwei Bewerbe waren diesmal längst nicht so gut wie in Gent, aber es kam trotzdem wieder etwa die gleiche Punktzahl raus. Das Kugelstoßen hat mir gut getan und es "raus gerissen". Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, auch durch viele Wettkämpfe vor dem Mehrkampf das Gefühl aufzubauen.

Nach dem Wettkampf haben mich die Journalisten gefragt, wie ich den dritten Platz einschätze. Obwohl es eine Medaille ist, wird aber das die Erfahrung Olympia in Sydney nicht übertreffen können, auch wenn ich dort "nur" Siebte war. Aber der Erfolg in Lissabon war schön, vor allem die Kombination Bronzemedaille und Sabine geschlagen zu haben. Überall wurde mir gratuliert wie am Geburtstag.

Am Freitag ist nicht mehr viel passiert. Wir erwischten noch den letzten Bus ins Hotel. Dort haben wir gegessen und den Wasserverlust wieder ausgeglichen. Um ein Uhr ging es ins Bett.

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